Informationsflut, fragmentierte Öffentlichkeit, schwindendendes Gatekeeping-Monopol: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht vor vielen Herausforderungen. Wie sieht also ein zeitgemäßer Auftrag für ihn aus? Darum ging es im Vortrag, den MDR-Intendantin Prof. Dr. Karola Wille am 19. Mai auf Einladung des IfK-Fördervereins gehalten hat – und zwar nicht vor vielen Zoom-Kacheln, sondern endlich wieder in Präsenz, endlich wieder im Sparkassen-Forum am Altmarkt.
Eine der großen Herausforderungen für den MDR saß vor Wille im Publikum: Studierende. Jene Menschen also, die jünger als 50 Jahre sind, die sich auf Nachrichtenseiten und Social Media informieren, die Podcasts hören und Serien streamen – sich aber kaum um 20 Uhr vorm Fernseher versammeln. Im Jahr 2030, zitierte Wille eine Prognose der Studie ARD/ZDF-Massenkommunikation Trends 2021, erfolgt nur noch die Hälfte der Nutzung von ARD, ZDF und Deutschlandradio über deren lineares Programm.
Ein wichtiger Punkt eines zeitgemäßen Auftrages sei daher, das nichtlineare Programm zu stärken. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk will weiter nah an den Menschen sein und muss deshalb flexibler überall dort mit Angeboten zu finden sein, wo Medien genutzt werden“, so die Intendantin. „Hier ab vier“ muss also auch zwei Uhr nachts in der Mediathek zu finden sein.
Umgesetzt werden soll diese Flexibilität in einem gemeinsamen Kommunikationsnetzwerk, in dem die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Angebote verknüpfen und, unterstützt von Algorithmen, redaktionell kuratieren. Ausgehend von verschiedenen Portalen sollen dort alle Nutzer:innen genau das Angebot finden, das sie suchen und das ihre Lebenswirklichkeit abbildet. Egal, ob kurzes Newsupdate, Doku-Langstrecke oder Märchenklassiker. Auch Austauschorte soll das Netzwerk beinhalten, um ein gesamtgesellschaftliches Gespräch und Verständigung zu ermöglichen – weniger pöbelnd und weniger fragmentiert als auf Facebook & Co.
„Wir brauchen diesen gemeinsamen öffentlichen Kommunikationsraum, der Gemeinwohlzielen verpflichtet ist, für alle“, sagt Wille. Schließlich habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom Juli 2021 noch einmal bestätigt ist, wie zentral die Sicherung von Vielfalt und Diskurs innerhalb des Auftrags für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist.
„MDR für alle“ heißt deshalb auch das Leitbild für den Sender, das Wille abschließend vorstellte. Der MDR soll weiterhin ein zentraler Medienanbieter für die Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sein – auch für die, die momentan noch nicht so erfolgreich erreicht werden. Deshalb will er digitaler werden, Angebote für junge Menschen ausweiten, aber auch das generationenübergreifende Thema Kultur im Programm stärken. Dabei soll der MDR eine Stimme des Ostens bleiben, die nicht nur in Dresden oder Leipzig verankert ist, sondern auch in den Regionen.
Schließlich will sich der MDR noch mehr auf Dialog ausrichten, für Nutzer:innen ansprechbar sein und mit ihnen in die Diskussion gehen. Dafür gibt es zum Beispiel das Meinungsbarometer „MDR fragt“, bei dem jede und jeder an Umfragen teilnehmen kann – von Waffenlieferung bis gesellschaftlicher Zusammenhalt. Die Ergebnisse dieser Befragungen werden dann in der Berichterstattung aufgegriffen. „Wir brauchen verlässliche und offene Räume für gesellschaftlich relevante Diskussionen“, sagt Wille.
Gesagt, getan: Moderiert von den IfK-Master-Studierenden Lena Kobert und Marvin Liebig ging es anschließend in die Diskussion. Zwar reichte die Zeit am Ende nicht für alle Fragen, doch der Rest konnte bei Getränk und Brezel geklärt werden. War ja schließlich kein Zoom-Call.
Fotos: Cindy Marquardt